Bipolare Störung (Manisch-depressive Erkrankung)

Depressive Episoden entsprechen in ihrer Phänomenologie der unipolaren Major Depression.
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Bei Menschen mit einer bipolaren Störung treten extreme Stimmungsschwankungen auf. Betroffene erleben dabei wechselnde Phasen, die sich durch manische und depressive Episoden kennzeichnen. Ausprägung und Verlauf können sehr unterschiedlich sein.

Medizinische Expertise

Clemens Hrobsky

Mag. (FH) Clemens Hrobsky

Personzentrierter Psychotherapeut
Grundsteingasse 40/4-5, 1160 Wien
www.praxis-hrobsky.at
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Meist überwiegen depressive Phasen mit Symptomen wie vermindertem Antrieb, Gefühlsleere oder Appetitverlust. Auf eine depressive Phase folgt eine manische: Sie lässt Betroffene vor Energie strotzen und treibt sie zu Höchstleistungen – bis der Absturz in die Depression kommt. Zwischen zwei Episoden können auch beschwerdefreie Phasen liegen. Menschen mit schweren Formen der bipolaren Erkrankung sind oft akut suizidgefährdet, daher ist eine fachärztliche Behandlung dringlich empfohlen. Auch die Neigung zu Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch sowie Angsterkrankungen ist sehr hoch.

  • Eine bipolare Störung zeigt sich durch wiederholte manische und depressive Episoden.
  • Typischerweise erleben Betroffene je nach Phase ein übersteigendes Selbstwertgefühl oder eine starke Antriebslosigkeit.
  • Häufig treten andere komorbide Störungen wie Angsterkrankungen oder Substanzmissbrauch auf.
  • Die Diagnose erfolgt über klinische Interviews und soll andere Krankheitsbilder ausschließen.
  • Die Behandlung erfolgt in drei Phasen und wird meist medikamentös begleitet.
Art affektive Störung

Ursache

multifaktoriell (biologisch-genetische, soziale und psychische Faktoren)
Symptome manische oder depressive Episoden mit starken Stimmungsschwankungen
Diagnose klinisch-psychologische Diagnostik
Therapie Psychotherapie, Medikamente

Unter einer bipolaren Störung versteht man eine psychische Erkrankung, die zu den affektiven Störungen zählt. Früher nannte man die bipolare Störung auch manisch-depressive Erkrankung. Das Krankheitsbild ist gekennzeichnet durch wiederholte Episoden deutlich beeinträchtigender Stimmung und Veränderungen im Aktivitätsniveau. Diese können vorkommen in:

  • depressiver Art
  • manischer Art
  • oder hypomanischer Art

Die Häufigkeit und Dauer der einzelnen Episoden können stark variieren. Meist treten depressive Phasen häufiger auf als manische Phasen und verlaufen in der Regel chronisch. 

Es gibt auch Mischformen, bei denen depressive und manische Phasen gleichzeitig auftreten. Eine leichte Form der Manie wird auch als Hypomanie bezeichnet. Die bipolare Störung beginnt meist im frühen Erwachsenenalter und betrifft Frauen und Männer etwa gleich häufig. Die Erkrankung bleibt oft lange Zeit unerkannt und wird häufig falsch diagnostiziert.

Bipolare Störungen werden eingeteilt in: 

Bipolar-I-Störung
  • mindestens eine manische Episode liegt vor,
  • kann sich mit einer depressiven Episode abwechseln oder auch nicht,
  • deutliche Probleme im Alltag oder in zwischenmenschlichen Beziehungen
Bipolar-II-Störung
  • mindestens eine hypomanische Episode zusätzlich zur depressiven Episode

 

Schätzungen zufolge leiden etwa 400.000 bis 800.000 Österreicher:innen an moderaten Formen dieser Erkrankung. In Österreich leiden zwischen 85.000 und 170.000 Personen (1 bis 2 Prozent der Allgemeinbevölkerung) an schweren Verlaufsformen der bipolaren Störung.
Menschen mit schweren Krankheitsverläufen haben meist ein erhöhtes Suizidrisiko. In diesem Fall ist es dringend notwendig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. 

Bipolare Erkrankungen werden durch ein Ungleichgewicht verschiedener Botenstoffe im Gehirn hervorgerufen, die für Fühlen und Denken zuständig sind (wie Serotonin, Noradrenalin, Dopamin) und beeinflussen Gefühle und Denkprozesse stark.

Mögliche Gründe für die Entstehung einer bipolaren Störung sind auf multifaktorielle Aspekte zurückzuführen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei biologisch-genetische Faktoren sowie zusätzlich soziale und psychische Faktoren. Mögliche Risikofaktoren für die Entstehung der Krankheit sind:

  • Bipolare Störungen in der Familie (genetisch bedingt)
  • schwere Depression im Kindes- und Jugendalter
  • rascher Beginn/rasche Rückbildung einer Depression
  • Hypomanische Symptome im Rahmen einer Depression

Außerdem können Umwelteinflüsse und bestimmte Persönlichkeitseigenschaften die Entwicklung einer bipolaren Störung beeinflussen. Ein unregelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus zwischen den Phasen kann zur Verstärkung der Krankheit beitragen.

Bei der bipolaren Störung können verschiedene Episoden auftreten wie depressive, manische, hypomanische und gemischte Phasen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass zwischen Episoden auch eine beschwerdefreie Phase liegt. Häufig liegt ein Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch vor. 

Viele Patient:innen leiden oft zusätzlich unter anderen psychischen Erkrankungen wie:

Zudem können auch somatische Erkrankungen wie Herzerkrankungen, Migräne oder Diabetes Typ 2 vorliegen.

Depressive Episode

Die depressive Episode einer bipolaren Störung unterscheidet sich nicht von schweren Stadien einer unipolaren Depression. Die Symptome dauern in der Regel mindestens zwei Wochen oder länger an. 

Depressive Phasen sind durch folgende Symptome gekennzeichnet:

  • Niedergeschlagenheit
  • Interessens- und Freudeverlust an Aktivitäten
  • Antriebslosigkeit
  • Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme
  • Gefühle von Wertlosigkeit und starke Schuldgefühle
  • Wiederkehrende Gedanken an den Tod, einschließlich suizidaler Gedanken
  • Schlaflosigkeit oder erhöhtes Schlafbedürfnis
  • Appetitverlust oder Steigerung
  • psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung

Manie, Hypomanie

In exzessiven Hochstimmungsphasen (Manie) haben Betroffene große Probleme mit der eigenen Wahrnehmung. Sie zeigen oft ein rücksichtsloses Verhalten zu ihrer Umwelt. Während manischer Episoden kann die Stimmung der Betroffenen von sorgloser Heiterkeit bis hin zu unkontrollierbarer Erregung gekennzeichnet sein. Die Vorstufe zur Manie wird – mit abgeschwächten Beschwerden – auch als Hypomanie bezeichnet. Diese Phase dauert mindestens eine Woche an und führt zu einer starken Beeinträchtigung der beruflichen und sozialen Funktionsfähigkeit.

Kernsymptome bei manischen Phasen sind:

  • Gehobene, expansive oder reizbare Stimmung
  • vermehrter Antrieb
  • körperliche Rastlosigkeit, Überaktivität
  • Enthemmung
  • vermehrte Gesprächigkeit oder Rededrang
  • Ideenflucht oder subjektives Gefühl des Gedankenrasens
  • vermindertes Schlafbedürfnis
  • übersteigendes Selbstwertgefühl bis zu Größenideen
  • leichtsinniges oder verantwortungsloses Verhalten (z.B. übertriebene Einkäufe, Schuldenmachen)
  • Impulsives Verhalten
  • verstärkter sexueller Antrieb/Promiskuität (sehr oft wechselnde sexuelle Kontakte)

Gemischte Episode

Bei einer gemischten Episode treten manische und depressive Symptome gleichzeitig auf. Dies zeigt sich z.B. in gesteigertem Antrieb trotz depressiver Stimmung. Das Suizidrisiko ist während dieser gemischten Episode sehr hoch.

Zu Beginn wird eine ausführliche Krankengeschichte (Anamnese) und Probleme der Patient:in erhoben (z.B. Suchterkrankungen, Verhaltensauffälligkeiten, familiäre Erkrankungen).

Es erfolgen genaue klinische Unterscheidungen zur Abklärung der Beschwerden (z.B. Klinisch-psychologische Diagnostik, CT/MRT, EEG). Es ist besonders wichtig, den aktuellen Schweregrad der Symptomatik zu bestimmen und dabei biografische Zusammenhänge zu berücksichtigen. 

Bei der Diagnostik geht es darum, andere Krankheitsbilder auszuschließen, wie:

  • Depression
  • Zyklothymie
  • Schizophrenie
  • oder organischen Ursachen

Die Zyklothymie zeigt anhaltende Stimmungsschwankungen zwischen leichter Depression und leichter Euphorie. Zudem können bestimmte Medikamente, insbesondere Antidepressiva, ähnliche Symptome wie Manie oder Hypomanie auslösen. Eine präzise Diagnose erfordert daher eine sorgfältige Abklärung und Ausschluss anderer möglicher Ursachen.

Ohne Behandlung nehmen Anzahl und Schweregrad der manischen wie auch der depressiven Episoden im Verlauf der Erkrankung zu, daher ist es besonders wichtig, möglichst früh mit einer Therapie zu beginnen.

Die Behandlung erfolgt in der Regel in drei Phasen:

  • 1. Phase: Akuttherapie
  • 2. Phase: Erhaltungstherapie
  • 3. Phase: Rückfallprophylaxe

1. Phase Akuttherapie

Bei der Akuttherapie geht es vordergründig darum, die depressiven bzw. (hypo-) manischen Symptome zu lindern. Die Akuttherapie erfolgt in der Regel in einem Krankenhaus oder in einer Tagesklinik. Häufig werden Medikamente eingesetzt, ergänzt durch unterstützende Therapien wie beispielsweise Psychotherapie

Fachärzt:innen für Psychiatrie (und psychotherapeutische Medizin) führen regelmäßige Kontrollen durch, um die Fortschritte zu besprechen und alternative Behandlungsmöglichkeiten zu evaluieren. 

Welche Medikamente kommen zum Einsatz?

Welches Medikament bei einer bipolaren Störung eingesetzt wird, hängt vom jeweiligen Verlauf der Erkrankung ab und wird von der behandelnden Ärzt:in abgestimmt.

Häufig werden folgende Medikamente für die Behandlung verwendet:

  • Stimmungsstabilisierer (auch Phasenprophylaktika genannt): Dazu zählen etwa Lithium sowie dieAntiepileptika Carbamazepin, Valproinsäure, Lamotrigin etc. und Antipsychotika.
  • Antidepressiva: Diese sollen bei einer bipolaren Störung nur in Zusammenhang mit Stimmungsstabilisierern zur Anwendung kommen. 

2. Phase Erhaltungstherapie

Ziel ist es den erreichten Zustand zu stabilisieren und für circa 6 Monate rückfallsfrei zu bleiben.
Betroffene können im Rahmen einer Psychotherapie neben der medikamentösen Behandlung Unterstützung bekommen. Gemeinsam mit der Patient:in werden Therapieziele festgelegt, wie zum Beispiel das Verständnis und Milderung der Symptome oder ein besserer Umgang mit Gefühlen und Alltagsprobleme. Auch soziale Kompetenzen können durch die Therapie verbessert werden.

Welche weiteren Therapiemöglichkeiten gibt es?

Lichttherapie
  • Anwendung bei depressiven Episoden, besonders bei saisonaler Wiederkehr im Winter.
  • Tägliches Einsehen in weißes Licht einer Leuchtstoffröhre für 30-120 Minuten über mehrere Wochen.
  • Ärztliche Beratung zu möglichen Lichtempfindlichkeiten bei gleichzeitiger Medikamenteneinnahme.
Wachtherapie
  • Geeignet für depressive Episoden.
  • Zwei bis drei Wachperioden pro Woche, jeweils 36-40 Stunden ohne Unterbrechung oder Ausfall des Nachtschlafs in der zweiten Nachthälfte.
  • Nicht empfohlen bei Neigung zu Epilepsie, schweren körperlichen Erkrankungen oder psychotischen Symptomen.
Elektrokonvulsions-therapie (EKT)
  • Etablierte Therapie bei schweren depressiven und manischen Episoden.
  • Künstliche Auslösung eines generalisierten Krampfanfalls durch elektrische Stimulation des Gehirns unter Kurznarkose.
Sport/Bewegungs-therapie
  • Positive Auswirkungen auf die psychische Verfassung.
  • Ablenkung von negativen Gedanken, soziales Miteinander und positive Körpererfahrungen tragen zur Stimmungsverbesserung bei.
Entspannungs-methoden
Unterstützung im Alltag
  • Förderung der Selbstständigkeit im Alltag (Selbstversorgung, Haushaltstätigkeiten).
  • Ziel ist die Steigerung der Lebensqualität und die Wiedereingliederung ins aktive Leben.

3. Phase Rückfallprophylaxe

Die Rückfallprophylaxe beschreibt die letzte Phase der Behandlung und dient dazu, den Patient:innen mithilfe präventiver Strategien mit ihrer Erkrankung besser umzugehen. Es geht um eine vorbeugende Behandlung von (hypo-)manischen und depressiven Episoden. Das Auftreten von neuen Episoden sowie Einschränkungen der psychischen Funktion und Lebensqualität sollen dadurch vermieden werden.

  • Wichtig ist es, die verordneten Medikamente regelmäßig einzunehmen, auch wenn der Zustand stabil ist. Absetzen ohne ärztliche Rücksprache kann einen erneuten Krankheitsschub auslösen.
  • Ein Tagebuch gibt Aufschluss über die Abfolgen der Episoden.
  • Ein geregelter Tagesablauf und regelmäßige Schlafenszeiten sowie Sport wirken sich sehr positiv aus.
  • Stress zählt zu den möglichen Auslösern einer Episode. Techniken zur Stressbewältigung können wichtige Impulse sein.

Autor:in:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Erstellt am:

26. Februar 2024

Stand der medizinischen Information:

26. Februar 2024


ICD-Code:
  • F31

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