Wenn Kinder zu viele Süßigkeiten naschen und dazu vielleicht noch eine zuckerreiche Limonade trinken, neigen sie aus Sicht vieler Eltern zu extremer Hyperaktivität. Umgangssprachlich ist dann auch vom Zuckerschock die Rede. Aber gibt es überhaupt einen wissenschaftlich belegbaren Zusammenhang zwischen kindlicher Hyperaktivität und Zuckerkonsum?
Nein. Zahlreiche Studien konnten keinen Zusammenhang zwischen Hyperaktivität bei Kindern und Zuckerkonsum herstellen.
Der Mythos geht vermutlich zurück auf den amerikanischen Kinderarzt Benjamin Feingold, der in den frühen 1970er Jahren mit seiner "Feingold-Diät" einen großen Erfolg landete. Er stellte einen Zusammenhang zwischen dem hyperaktiven Verhalten von Kindern und deren Ernährung her. Würden die Kinder, so die Theorie, auf einige Inhaltsstoffe weitestgehend verzichten, würde sich auch ihr Verhalten normalisieren. Feingolds Lehren hatten jahrzehntelang einen großen Einfluss, wissenschaftlich haltbar sind seine Annahmen aber nicht. Bereits in den 1980er Jahren wurde seine Theorie erstmal widerlegt, in den Jahrzehnten danach folgten zahlreiche weitere Studien mit dem gleichen Ergebnis.
Trotz der klaren Studienlage würden wahrscheinlich viele Eltern widersprechen und betonen, dass ihre Kinder sehr wohl hyperaktiv werden, sobald sie Zucker essen. Dazu, warum dieser Eindruck entstehen kann, gibt es drei wesentliche Erklärungsmodelle:
- selbsterfüllende Prophezeiung: Eine Untersuchung legt nahe, dass es zu einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung kommt. An der Studie teilnehmende Kinder bekamen allesamt die gleichen Speisen und Getränke vorgesetzt. Anschließend durften sie frei spielen und wurden dabei von ihren Eltern beobachtet. Diese bekamen zum Teil bewusst falsche Informationen. Manchen wurde erzählt, ihr Kind hätte besonders viele Süßigkeiten gegessen. Ebendiese Eltern beurteilten im Anschluss auch das Verhalten ihres Nachwuchses als auffällig hyperaktiv – obwohl ihre Kinder das selbe zu essen bekamen wie alle anderen.
- besondere Situation: Womöglich werden auch nur falsche Rückschlüsse gezogen. Die meisten Kinder konsumieren vor allem dann etwas mehr Zucker als üblich, wenn es einen konkreten Anlass gibt. So gibt es beispielsweise auf einer Geburtstagsfeier häufig neben Limonade und Kuchen auch noch eine Menge Süßigkeiten. Dass die Kinder dann tatsächlich etwas aufgedrehter sind, liegt aber womöglich weniger an der Ernährung als an der aufregenden Situation.
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Farbstoffe: Obwohl es keinen Zusammenhang mit Zucker gibt, stehen Süßigkeiten nach wie vor in Verdacht, Hyperaktivität zu fördern. Dies liegt an den enthaltenen Farb- und Konservierungsstoffen. Die Studienlage dazu ist einigermaßen dünn, es gibt aber Anhaltspunkte, dass manche der entsprechenden Stoffe tatsächlich das Verhalten beeinflussen – und womöglich sogar ADHS fördern könnten.
Vermutlich trägt eine Kombination aus allen drei Punkten zu der hartnäckigen Verbreitung des Mythos bei. Es gibt aber unabhängig vom Verhalten genügend gute Gründe, um den Zuckerkonsum bei Kindern einzuschränken. Neben Karies fördert er, als Bestandteil einer ungesunden Ernährung, auch Mehrgewicht. Eltern ist daher anzuraten, Kindern einen verantwortungsvollen Umgang mit Süßigkeiten beizubringen.
- "Diet and hyperactivity: is there a relationship" von F. J. Stare et al. In: Pediatrics, 1980. (08.08.2023)
- "Hyperactivity: Is candy causal?" von D. A. Krummel et al. In: Critical Reviews in Food Science and Nutrition, 1996. (08.08.2023)
- "The effect of sugar on behavior or cognition in children. A meta-analysis" von M. L. Wolraich et al. In: JAMA, 1995. (08.08.2023)
- "Is Sugar Consumption Detrimental to Health? A Review of the Evidence 1995—2006" von C. H. S. Ruxton et al. In: Critical Reviews in Food Science and Nutrition, 2009. (08.08.2023)
- "Food additives and hyperactive behaviour in 3-year-old and 8/9-year-old children in the community: a randomised, double-blinded, placebo-controlled trial" von D. McCann et al. In: Lancet, 2007. (08.08.2023)