Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS)

Bub und Logopädin üben gemeinsam
Im Rahmen einer logopädischen Therapie können Sprachdefizite, die aus Hördefiziten entstehen, kompensiert werden.
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Wenn es zu Einschränkungen beim Hören kommt, obwohl die Ohren eigentlich gesund sind, könnte es sich um eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) handeln.

Medizinische Expertise

Thomas Rasse

OA Dr. Thomas Rasse

Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten
Grieskirchner Straße 42, 4600 Wels, Oberösterreich, Österreich
Medizinische Fachbeiträge auf MeinMed.at werden von 🇦🇹 österreichischen Ärzt:innen und medizinischen Expert:innen geprüft.

Inhaltsverzeichnis

Menschen mit einer Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) hören genauso gut wie ein Normalhörender, die akustischen Signale werden jedoch nicht korrekt vom Gehirn verarbeitet. Das liegt an einer Störung der zentralen Prozesse des Hörens. Es handelt sich um eine Informationsverarbeitungsstörung des auditiven Modalitätsbereichs, die vor allem die sprachlichen und schriftsprachlichen Leistungen der Betroffenen beeinflusst.

  • Bei einer AVWS ist nicht das Hörorgan an sich beeinträchtigt, sondern die Verarbeitung der akustischen Signale im Gehirn ist gestört. 
  • Als Ursache werden sowohl medizinische Faktoren als auch Umwelteinflüsse vermutet.
  • Bei Betroffenen zeigen sich Symptome im Sprachverhalten, im Hörverhalten und im Verhalten selbst.
  • AVWS gilt als nicht heilbar, jedoch mit entsprechenden Therapiemaßnahmen als gut behandelbar.
Art Störungen zentraler Prozesse des Hörens
Ursache Genetische oder neurologische Ursachen, häufige oder langanhaltende Mittelohrentzündungen, prä-, peri- oder postnatale Ursachen, Umwelteinflüsse
Symptome Im Sprachverhalten, Hörverhalten und im Verhalten selbst
Diagnose Anamnese, körperliche und hno-ärztliche Untersuchung, psychometrische und audiologische Testverfahren
Therapie Logopädische Therapie, Verbesserung der Umgebungsbedingungen für das Sprachverstehen, Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses am Ohr

FAQ (Häufige Fragen)

Was ist eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung?

Bei einer auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung ist nicht das Hören an sich beeinträchtigt, sondern die Verarbeitung der akustischen Signale im Gehirn ist gestört. Ist man von AVWS betroffen, hört man zwar, was um sich herum passiert, die vielen Reize können jedoch nicht korrekt verarbeitet werden.

Wie verhalten sich Kinder mit AVWS?

Bei Betroffenen zeigen sich Symptome 

  • im Sprachverhalten ( z.B. verzögerte Sprachentwicklung, reduziertes Sprachverständnis, eingeschränkter Wortschatz), 
  • im Hörverhalten (z.B. Gespräche in geräuschvoller Umgebung werden nur schwer verstanden, Richtung und Entfernung von Geräuschen werden nicht richtig erkannt, reduzierte Merkspanne von Gehörtem), 
  • im Verhalten selbst (Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten, Verhaltensunsicherheit).
Ist AVWS heilbar?

Grundsätzlich gilt AVWS als nicht heilbar, aber mit entsprechenden Maßnahmen als gut behandelbar.

Bei einer auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung ist nicht das Hören an sich beeinträchtigt, sondern die Verarbeitung der akustischen Signale im Gehirn ist gestört. Es liegt dabei jedoch weder eine Störung des Hörorgans, noch eine Intelligenzminderung vor. Ist man von AVWS betroffen, hört man zwar, was um sich herum passiert, die vielen Reize können jedoch nicht korrekt verarbeitet werden.

Schätzungen zufolge haben etwa 2 bis 3 % der Kinder eine AVWS, wobei Buben etwa doppelt so häufig betroffen sind wie Mädchen.

Welche Ursachen einer AVWS zugrunde liegen ist bislang nicht zu 100 % geklärt. Fest steht, dass sie nicht im Hörorgan selbst liegen. Es werden sowohl medizinische Faktoren als auch Umwelteinflüsse vermutet.

Als Risikofaktoren für AVWS gelten: 

  • genetische oder neurologische Ursachen – Hirnschäden oder Verzögerungen der Hirnreifung im frühen Kindesalter,
  • häufige oder lang andauernde Mittelohrentzündungen,
  • prä-, peri- oder postnatale Ursachen wie z.B. Frühgeburt, Sauerstoffmangel oder Infektionen. Auch der Konsum von Alkohol während der Schwangerschaft kann die fetale Gehirnentwicklung beeinflussen.
  • Auch Umwelteinflüsse können das Risiko für eine AVWS erhöhen. Das kann beispielsweise eine mangelnde Kommunikation mit dem Kind sein oder ein vermehrter Medienkonsum (langanhaltender Fernsehkonsum). Ebenso kann die Exposition von toxischen Substanzen wie Quecksilber oder Blei die Gehirnentwicklung beeinträchtigen.

Bei Betroffenen zeigen sich Symptome…

…im Sprachverhalten:

  • Eine verzögerte Sprachentwicklung,
  • Reduziertes Sprachverständnis,
  • ein eingeschränkter Wortschatz

…im Hörverhalten:

  • Gespräche in einer geräuschvollen Umgebung werden nur schwer oder gar nicht verstanden
  • Richtung und Entfernung von Geräuschen werden nicht richtig erkannt
  • empfindliche Reaktion auf schrille Geräusche und eine laute Umgebung
  • Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von ähnlich klingenden Wörtern und Buchstaben z. B. dem und den
  • Reduzierte Merkspanne von Gehörtem
  • Verringertes Interesse an Geschichten und Liedern

…im Verhalten selbst:

  • Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten
  • Allgemeine Verhaltensunsicherheit

In einem ausführlichen Arzt-Patienten-Gespräch (Anamnese) erkundigt sich die Ärzt:in nach den konkreten Symptomen, Vorerkrankungen, Allergien, Erkrankungen in der Familie, Operationen sowie nach der Einnahme von Medikamenten. 

Danach wird eine allgemeine körperliche sowie eine HNO-ärztliche Untersuchung durchgeführt. Die Diagnose einer AVWS erfordert zunächst den Ausschluss einer Hörstörung mittels ausführlicher audiologischer Testung (Tonaudiogramm, Sprachverstehen, Störschall/Nutzschall Separation, Dichotisches Hören). Die Intelligenz und die Aufmerksamkeitsleistung müssen ebenfalls unauffällig sein. 

Mithilfe von standardisierten psychometrischen und audiologischen Testverfahren werden einzelne Bereiche der auditiven Wahrnehmung und Sprachverarbeitung überprüft. Gängige Screeningverfahren, um eine AVWS festzustellen, sind z.B.:

Der Münchner Auditive Screeningtest für Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (MAUS) Der Maus-Test setzt sich aus den Teilbereichen Silbenfolgen, Wörter im Störgeräusch sowie Lautdifferenzierung und Lautidentifikation zusammen.
Der Heidelberger Lautdifferenzierungstest (H-LAD) Beim H-LAD wird ergänzend zur Lautdifferenzierung die Lautanalyse geprüft.
Der Heidelberger Vokaldifferenzierungstest (HVT) Der HVT wird eingesetzt, um die Fähigkeit der Patient:in zu prüfen, Phoneme korrekt zu erkennen.

Weitere Testverfahren: 

  • Der Zahlenfolgegedächtnistest aus das KABC
  • Der Mottier-Test zum Silbefolgengedächtnis
  • Das Heidelberger Vorschulscreening

Grundsätzlich gilt AVWS als nicht heilbar, aber mit entsprechenden Maßnahmen als gut behandelbar. Eine frühzeitige Förderung ist wesentlich, um negativen Folgen, wie z. B. einer Lese-Rechtschreibschwäche entgegenzuwirken. 

Prinzipiell sollte die Behandlung von AVWS umfassen:

  • Ein direktes Training: Im Rahmen einer logopädischen Therapie werden auditive Fähigkeiten und kompensatorische Strategien ausgebildet, die sich positiv auf die Entwicklung des Betroffenen auswirken.
  • Verbesserung der Umgebungsbedingungen für das Sprachverstehen: Störgeräusche üben einen erheblichen Einfluss auf das Sprachverstehen aus. Um das Sprachverstehen für Betroffene zu erhöhen und die Qualität der akustischen Signale zu gewährleisten, sollte die akustische Umgebung verbessert werden.
  • Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses am Ohr: Technische Hilfsmittel, wie eine Übertragungsanlage (drahtlose Signalübertragungsanlagen, die Signale mit frequenzmodulierten Funksignalen übertragen), können die Intensität des Sprechers erhöhen und Störgeräusche, Schallreflexionen und Nachhall verringern.

Wurde AVWS diagnostiziert, ist es wichtig, dass Eltern das betroffene Kind aktiv bei der Behandlung und Förderung unterstützen:

  • Das Kind sollte möglichst gut informiert und aufgeklärt werden, warum es im Alltag Probleme hat und was man dagegen unternehmen kann. Dabei sollte betont werden, dass es nicht mangelhaft begabt ist, sondern nur schlechter oder ungenauer hört.
  • Auch die Lehrer des Kindes sollten ausreichend über die Störung und deren Auswirkungen auf das Lernen im Unterricht informiert werden.
  • Achten Sie auf das Sprechtempo und versuchen Sie deutlich zu sprechen und redensartliche Ausdrücke oder eher ungebräuchliche Wörter zu vermeiden. 
  • Gehen Sie vor Gesprächsbeginn sicher, dass das Kind aufmerksam ist. Manchmal hilft eine vorsichtige Berührung auf der Schulter, wenn es nicht auf seinen Namen reagiert. 
  • Vor einem Gespräch sollten eventuell störende Umgebungsgeräusche reduziert werden wie z.B. Fernseher, Waschmaschine oder Geschirrspüler. Beachten Sie, dass Gespräche außerhalb der Wohnung mit hohem Störschall (z.B. durch Straßenverkehr) verbunden sein können.
  • Zeigen Sie dem Kind, wie es sein Gesprächs- und Lernumfeld aktiv strukturieren kann, um Ablenkung oder Hintergrundgeräusche zu abzuschwächen, z.B. durch Maßnahmen wie das Schließen des Fensters oder der Tür, das Leiser stellen des Autoradios oder das Reduzieren der Distanz zum Gesprächspartner.
  • Als Kompensationsstrategie ist es auch gut, wenn das Kind ermutigt wird, bei Unklarheiten nachzufragen oder sich rückzuversichern, dass es den Inhalt des Gesprächs richtig verstanden hat. 
  • Versuchen Sie geduldig und verständnisvoll zu sein. Es kann sein, dass das Kind vielleicht viele Wiederholungen braucht, um Lerninhalte zu beherrschen und Aufgaben oder Tests in der Schule missversteht oder vergisst.  

Was Lehrer:innen tun können, um das betroffene Kind zu unterstützen:

  • Anpassungen im Klassenraum können helfen z.B. sollte der Sitzplatz, fern von Geräuschquellen (z.B. Lärm von außen) liegen. Unruhige Mitschüler:innen am besten nicht in der Nähe platzieren. Zudem sollte vom Sitzplatz aus das Gesicht der Lehrperson gut zu sehen sein. Einen häufigen Wechsel des Sitzplatzes sollte man vermeiden. 
  • Während wichtige Informationen mitgeteilt werden, sollten Nebengeräusche soweit wie möglich reduziert werden (z.B. Einsammeln von Heften, Füße scharren, etc.). Am besten werden wichtige Infos auch mehrmals wiederholt. 
  • Die Lehrperson sollte möglichst deutlich sprechen und das Kind beim Sprechen ansehen (Blickkontakt). Das Sprechtempo sollte ruhig und natürlich sein.
  • Aufgaben sollten nicht nur erklärt, sondern anhand von Beispielen möglichst demonstriert werden. Schlüsselwörter können zur visuellen Unterstützung an die Tafel geschrieben werden. 
  • Dem Kind sollte man die Gelegenheit geben, Fragen zu stellen und es zu ermutigen, nachzufragen, falls es Unklarheiten gibt. Da viele Schüler sich oftmals zurückhaltend verhalten, kann es helfen, das Kind den Inhalt in eigenen Worten wiederholen zu lassen – um herauszufinden, ob es alles korrekt verstanden hat.

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Autor:in:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

18. Februar 2025

Erstellt am:

28. Februar 2019

Stand der medizinischen Information:

18. Februar 2025


ICD-Code:
  • F80

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