Ängste gehören zur kindlichen Entwicklung dazu – aber wenn sie so stark ausgeprägt sind, dass Schulbesuch oder alleine zu Hause bleiben fast unmöglich werden, liegt eine psychische Störung vor. Genetische Faktoren, der Erziehungsstil der Eltern und belastende Lebensereignisse führen unter anderem zu Ängsten. Diese können sich bei Kindern und Jugendlichen in Angst vor Tieren, Trennung von den Bezugspersonen, Situationen wie Fliegen oder Reisen ausdrücken, sowie in Zwangsstörungen, Angst vor Panikattacken, sozialen und Leistungssituationen und Ängsten nach Traumata. Die Behandlung erfolgt oft mittels Kognitiver Verhaltenstherapie. Ohne Behandlung könnten die Störungen chronisch bis ins Erwachsenenalter verlaufen.
- Etwa jedes zehnte Kind ist in seiner Jugend von Angststörungen betroffen, Mädchen häufiger als Buben.
- Je nach Alter treten unterschiedliche Ängste auf.
- Mögliche Ursachen sind in den Genen und der Erziehung zu finden, aber auch individuelle Faktoren spielen eine Rolle.
- Der häufigste Behandlungsansatz ist eine kognitive Verhaltenstherapie.
- Eltern spielen in der Behandlung der Angststörungen ihrer Kinder eine wichtige Rolle.
Art | Psychische Störung |
---|---|
Ursachen | Gene, Erziehung, traumatische Ereignisse |
Symptome | Alltag beeinträchtigende Ängste |
Diagnose | Interviews, Fragebögen, Verhaltensbeobachtungen |
Therapie | Kognitive Verhaltenstherapie, Psychopharmaka |
Etwa jedes 10. Kind ist einmal während seiner Jugend von Angststörungen betroffen. Damit gehören Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen zu den häufigsten psychischen Störungen. Mädchen sind 2 bis 4 Mal so oft betroffen wie Buben. Phobien (z.B. vor Tieren oder sozialen Situationen) treten bei Kindern und Jugendlichen besonders oft auf, von Zwangsstörungen, Panikstörungen und der generalisierten Angststörung sind nur jeweils etwa 1 % der Kinder betroffen. Im Vorschulalter treten am häufigsten Trennungsängste auf.
Video: Ängsten Einhalt gebieten: Wie wir Ängste verstehen und ihnen begegnen können
Dr. Matyas Galffy (Spezialsprechstunde für Angststörungen, Universitätsklinik für Psychiatrie II, Medizinische Universität Innsbruck) erklärt, wie Ängste unterteilt werden und wie man krankhafte Formen erkennt. (Webinar, 18.8.2021)
Ängste gehören zum natürlichen Entwicklungsverlauf von Kindern und Jugendlichen dazu. Typisch sind Ängste in folgenden Phasen:
- 0-6 Monate: Angst vor lauten Geräuschen
- 6-12 Monate: Angst vor Fremden
- Ab 1 Jahr: Angst vor Trennung, der Toilette
- Ab 2 Jahren: Angst vor Tieren, Dunkelheit
- 3-4 Jahre: Angst vor Fantasiegestalten (z.B. Monstern unter dem Bett)
- Ab 5 Jahren: Angst vor bösen Menschen oder dass den Eltern etwas passiert
- Ab 6 Jahren: Angst, alleine schlafen zu gehen
- Ab 7 Jahren: Trennungsängste lassen nach, medienbasierte Ängste (z.B. vor Ereignissen, die das Kind im Fernsehen gesehen hat) Angst vor Verbrechern, Naturkatastrophen
- Ab 9 Jahren: Angst bezogen auf Leistung und Aussehen, Angst vor Tod
- Ab Pubertät: Angst bezogen auf Sexualität, Zukunftsängste wie keinen Partner oder keinen Job zu finden
Diese für die kindliche Entwicklung normalen Ängste werden erst dann zur psychischen Störung, wenn sie so stark ausgeprägt sind, dass sie den Alltag beeinträchtigen. Das kann der Fall sein, wenn das Kind z.B. nicht mehr zur Schule gehen oder nicht mehr alleingelassen werden kann oder bestimmte Dinge nicht mehr machen will, die für seine Entwicklung wichtig wären (z.B. Freunde besuchen).
Zu den Ursachen von Angststörungen zählen:
- Genetische Faktoren: Wenn ein Elternteil bereits eine Angststörung hatte, ist es bei den Kindern auch wahrscheinlicher.
- Elterlicher Erziehungsstil: Kinder von Eltern, die einen überbehütenden, kontrollierenden Erziehungsstil ausüben und geringe emotionale Wärme und Feinfühligkeit zeigen, bekommen eher Angststörungen. Wenn die elterliche Angst groß ist, überträgt sich das ebenfalls auf das Kind.
- Unsichere Bindung: Wenn die kindliche Bindung an die Bezugspersonen unsicher ist, sind Angststörungen wahrscheinlicher.
- Individuelle Faktoren: Das kindliche Temperament und wie das Kind mit angsterzeugenden Reizen umgeht und diese geistig verarbeitet, sind für die Entwicklung von Angststörungen ausschlaggebend. Auch ein geringes Selbstbewusstsein zählt dazu.
- Belastende Lebensereignisse: Das Erleben von traumatischen Ereignissen (z.B. Unfall, Scheidung der Eltern) ist ebenfalls ein Risikofaktor.
STÖRUNG | BESCHREIBUNG | SYMPTOME |
---|---|---|
Störung mit Trennungsangst | Angst bei Trennung von Bezugspersonen oder von zu Hause, die nicht altersgemäß ist | Übermäßiger Kummer bei bevorstehender Trennung; Angst vor Unglücken, die Trennung verursachen; Widerwille/Weigerung, an einen anderen Ort (z.B. Schule) zu gehen; Angst, alleine schlafen zu gehen; Albträume von Trennungen; körperliche Beschwerden (z.B. Kopf- oder Bauchschmerzen), wenn Trennung bevorsteht |
Panikstörung | Wiederkehrende Panikattacken und Angst, dass diese erneut auftreten könnten | Plötzlich auftretende und unerwartete Angstgefühle, die innerhalb weniger Minuten einen Höhepunkt erreichen; Panikattacken gehen einher mit Herzklopfen, Schweißausbrüchen, Zittern, Mundtrockenheit, Atembeschwerden, Beklemmungsgefühl, Magenbeschwerden, Schwindel, Angst vor Kontrollverlust, Angst zu sterben |
Agoraphobie | Angst vor Situationen, in denen Flucht nicht möglich ist und keine Hilfe bei Paniksymptomen gesucht werden kann (z.B. alleine reisen, in Menschenmengen) | Angst in Menschenmengen, auf öffentlichen Plätzen, vor Reisen (alleine oder mit weiten Entfernungen); selbe Symptome wie bei Panikstörung |
Spezifische Phobie | Angst vor bestimmten Objekten (z.B. Tieren, Spritzen) oder Situationen (z.B. im Flugzeug, im Auto) | Panikattacken werden ausgelöst durch spezifischen Reiz (z.B. Spinne, Zahnarztbesuch); bei Kindern äußert sich Angst durch Weinen, Wutanfälle, Erstarren, Anklammern |
Soziale Phobie | Angst vor Peinlichkeiten in sozialen oder Leistungssituationen | Angst, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder dass einem etwas Peinliches passiert; Erröten oder Zittern, Angst zu erbrechen, Harn- oder Stuhldrang bzw. Angst davor; Weinen, Wutanfälle, Erstarren oder Zurückweichen bei gefürchteter sozialer Situation |
Zwangsstörung | Zwangsgedanken und Angst vor schlimmen Konsequenzen, wenn Zwangshandlungen nicht durchgeführt werden (z.B. Zählen von Dingen) | Wiederkehrende Gedanken, Impulse und Vorstellungen, die als unangenehm erlebt werden; wiederholte Verhaltensweisen (z.B. Händewaschen); Handlungen sollen gefürchtete Ereignisse verhindern |
Generalisierte Angststörung | Angst vor Ereignissen, die das Kind nicht kontrollieren kann, z.B. Naturkatastrophen, Krieg, Tod | Ruhelosigkeit, leichte Ermüdbarkeit, Konzentrationsprobleme, Reizbarkeit, angespannte Muskulatur, Schlafstörungen; Probleme, die Sorgen zu kontrollieren; übermäßige Angst vor mehreren Ereignissen gleichzeitig; auch Symptome wie bei Panikstörung möglich |
Posttraumatische Belastungsstörung | Ängste, die nach einem traumatischen Erlebnis auftreten (z.B. Unfall), sodass nicht damit abgeschlossen werden kann; Dauer: länger als 1 Monat (teilweise aber mit verzögertem Beginn) | Wiederkehrende Erinnerungen an traumatisches Erlebnis; sich wiederholende Träume; Angst in Situationen, die traumatischem Erlebnis ähneln; Vermeidung von Reizen, die mit Trauma verbunden sind (z.B. Aktivitäten, Orten, Menschen); Unfähigkeit, sich genau an das Trauma zu erinnern; Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Wutausbrüche, Konzentrationsprobleme, erhöhte Schreckhaftigkeit, übermäßige Wachsamkeit, Gefühl der Entfremdung von anderen |
Akute Belastungsstörung | Wie Posttraumatische Belastungsstörung, nur von kürzerer Dauer (2 Tage bis 4 Wochen) | Symptome wie bei Posttraumatischer Belastungsstörung; Rückzug von sozialen Interaktionen, eingeengte Aufmerksamkeit, Desorientierung, Verzweiflung, Überaktivität, unkontrollierbare Trauer |
Weitere Phobien und Ängste sind Schulvermeidungsverhalten, Prüfungsangst und Selektiver Mutismus, bei welchem in bestimmten Situationen (z.B. in der Klasse, mit Fremden) nicht gesprochen wird.
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Wenn Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen nicht behandelt werden, können diese chronisch werden und bis ins Erwachsenenalter andauern. Ausschlaggebend für einen chronischen Verlauf sind:
- ein früher Beginn der Störung (bevor das Kind 13 ist)
- negative Lebensereignisse
- das Vorliegen von anderen Störungen, vor allem somatoforme Störungen (körperliche Beschwerden, ohne zugrundeliegende Erkrankung) und Störungen durch Substanzkonsum (z.B. Alkohol, Drogen)
Der Einsatz von kognitiver Verhaltenstherapie und Medikamenten führt hingegen mit der Zeit zu einer Besserung der Symptome, auch wenn kein völliger Rückgang derselben erwartet werden kann.
Bei der Diagnose von Angststörungen werden mehrere Informationsquellen herangezogen – das Kind selbst sowie Eltern und eventuell pädagogisches Personal berichten in strukturierten Interviews und Fragebögen, in welchem Ausmaß die Störung vorliegt. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, Verhaltensbeobachtungen durchzuführen und das Kind aufzufordern, ein Angsttagebuch zu führen, welches dann analysiert wird.
Die häufigste Behandlungsmaßnahme bei Angststörungen im Kindes- und Jugendalter ist die Kognitive Verhaltenstherapie. Dabei finden folgende Schritte statt:
- Psychoedukation: Bei der Psychoedukation wird dem Kind Wissen über die vorliegende Angststörung vermittelt.
- Kognitive Umstrukturierung: Das Kind lernt, wie es mit angsteinflößenden, unangepassten Gedanken besser umgehen und diese in positivere Gedanken umwandeln kann, z.B. "Meine Mama hat unterwegs eine Freundin getroffen und zu lange mit ihr geplaudert" statt: "Meine Mama kommt zu spät, weil sie einen Unfall hatte".
- Konfrontation: Das Kind wird schrittweise während der Therapie mit den Angst auslösenden Reizen oder Situationen konfrontiert.
- Rückfallprophylaxe: Am Ende der Therapie wird das Kind noch einmal daran erinnert, was es alles gelernt hat und darauf hingewiesen, welche Hilfe es in Anspruch nehmen kann, wenn die Angststörung erneut auftritt (z.B. erneutes Durchschauen der Unterlagen, Auffrischungstherapie).
- Entspannungs-, emotionale und soziale Kompetenztrainings: Diese Trainings werden nach individuellem Bedarf des Kindes zusätzlich in der Therapie eingesetzt.
Des Weiteren werden schwere Fälle von Angststörungen auch mit Psychopharmaka behandelt.
Die Eltern spielen in der Therapie von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle. Sie können unterstützend wirken, indem sie den Kindern im Alltag immer wieder zu kleinen Erfolgserlebnissen verhelfen. Das gelingt vor allem dadurch, dass altersgemäße und bewältigbare Aufgaben gestellt werden. Dem Kind sollte daneben auch vermittelt werden, dass es normal ist, auch einmal Misserfolge zu haben. Hier empfiehlt es sich, Beispiele aus den Erfahrungen der Eltern zu geben oder auch von berühmten Persönlichkeiten, die oft gescheitert sind, bevor sie Erfolg hatten.
- Interview mit Mag. Sandra E. Velásquez Montiel-Probst
- Angst bei Kindern und Jugendlichen, C. A. Essau, Ernst Reinhardt Verlag, 1. Auflage, München, 2003
- Kinder und Jugendliche mit Angststörungen: Erscheinungsbilder, Diagnostik, Behandlung, Prävention, T. In-Albon, Verlag W. Kohlhammer, 1. Auflage, Stuttgart, 2011
- J. L. Hudson, H. F. Dodd, H. J. Lyneham, N. Bovopoulous: Temperament and Family Environment in the Development of Anxiety Disorder: Two-Year Follow-up, In: Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 2011, Vol. 50, Nr. 12, S. 1255-1264