Prader-Willi-Syndrom (PWS)

Die psychomotorische Entwicklung von Kindern mit PWS verläuft in der Regel verlangsamt.
© 1st footage / Shutterstock.com
Direkt zum Inhaltsverzeichnis

Das Prader-Willi-Syndrom ist eine seltene genetische Erkrankung. Symptome wie ausgeprägte Muskelschwäche, fehlendes Sättigungsgefühl und Kleinwüchsigkeit sind kennzeichnend.

Medizinische Expertise

Veronika Pilshofer

Dr. med. Veronika Pilshofer

Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, Additivfach Neuropädiatrie; Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern, Kinderabteilung, Neuropädiatrische Ambulanz
Seilerstätte 4 4010 Linz
www.ordensklinikum.at
Medizinische Fachbeiträge auf MeinMed.at werden von 🇦🇹 österreichischen Ärzt:innen und medizinischen Expert:innen geprüft.

Inhaltsverzeichnis

Das Prader-Willi-Syndrom ist nicht heilbar, die Folgen der Erkrankung lassen sich aber dank begleitender Therapie eindämmen. Wichtige Elemente der Behandlung sind Kontrolle der Nahrungsaufnahme, Normalisierung des Wachstums und psychosoziale Unterstützung.

  • Das Prader-Willi-Syndrom (PWS) ist eine relativ seltene angeborene Erkrankung.
  • Ursache des Prader-Willi-Syndroms ist eine genetische Veränderung im Chromosom 15.
  • Im Säuglingsalter sind betroffene Kinder muskelschwach und haben Probleme bei der Nahrungsaufnahme. Später entwickeln sie einen unstillbaren Hunger und können rasch adipös werden.
  • Das starke Übergewicht kann im Verlauf zu weiteren Erkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.
  • Bei der Therapie von PWS spielen die Wachstumshormonsubstitution und die Kontrolle der Nahrungsaufnahme eine zentrale Rolle. 
Art genetisch bedingte Erkrankung
Ursache genetische Veränderung im Chromosom 15q11q13
Symptome ausgeprägte Muskelschwäche, fehlendes Sättigungsgefühl bei übermäßiger Nahrungsaufnahme, Kleinwuchs, veränderte Gesichtszüge, Entwicklungsverzögerung, gestörte Pubertätsentwicklung, Skoliose u.a.
Diagnose genetische Analyse
Behandlung Nahrungskontrolle, Bewegungsprogramm, Wachstumshormone, psychosoziale Therapie, orthopädische Therapie

Das Prader-Willi-Syndrom (PWS) ist eine angeborene, genetische Erkrankung, die durch eine Schädigung des Erbguts verursacht wird. Die Folgen sind körperliche und geistige Veränderungen bzw. Beeinträchtigungen.

PWS ist nach den Schweizer Kinderärzt:innen Andrea Prader und Heinrich Willi benannt, die die Symptome 1956 erstmals wissenschaftlich beschrieben. PWS ist selten, es tritt mit einer Häufigkeit von ca. 1:30.000 auf und betrifft Buben und Mädchen etwa gleich häufig.

Verantwortlich für das Prader-Willi-Syndrom ist ein Gendefekt auf Chromosom 15. Dieser führt zu einer Dysfunktion in der hypothalamisch – hypophysären Achse im Gehirn, die das Hunger- und Sättigungsgefühl, sowie das Wachstum steuern und die sexuelle Entwicklung regulieren. Bei Menschen mit PWS entsteht ein Mangel an Wachstumshormonen und Sexualhormonen. Die Folgen sind unter anderem Entwicklungsverzögerung und Kleinwüchsigkeit.

PWS wird durch den Funktionsverlust von Genen hervorgerufen, die nur auf dem väterlichen Chromosom 15 aktiv sind und durch folgende drei Ursachen entstehen können:

  • Deletion (Verlust) eines definierten Chromosomenabschnittes auf Chromosom 15: ca. 75 Prozent der Fälle
  • Maternale uniparentale Disomie des Chromosom 15, d.h. zwei Chromosomen 15 stammen von der Mutter: ca. 20 Prozent der Fälle
  • Imprinting-Defekt, d.h. die entsprechenden Gene auf dem väterlichen Chromosom sind abgeschaltet: weniger als 1 Prozent der Fälle

PWS entsteht in der Regel durch eine spontane Chromosomenstörung. Es ist in der Regel also nicht vererbbar und scheint vollkommen zufällig und ohne äußere Einflüsse aufzutreten. Nur in sehr seltenen Fällen (weniger als 1 Prozent) besteht ein erhöhtes Risiko für eine Weitervererbung, wenn der Vater Träger ist. 

Welche Symptome beim Prader-Willi-Syndrom auftreten und wie stark sie ausgeprägt sind, ist individuell sehr verschieden und variiert auch nach Alter.

Folgende Symptome sind häufig:
Neugeborene

  • Muskelschwäche (Muskelhypotonie)
  • Trinkschwäche (Probleme beim Saugen und Schlucken)
  • Gedeihstörung (Probleme bei der Gewichtszunahme)
  • Verhaltensauffälligkeiten (Babys schreien wenig, sind sehr still, schlafen viel)

Ab ca. 3 Jahren
Klinische Symptomatik

  • Hyperphagie (gesteigerte Nahrungsaufnahme bei übermäßigem Appetit und fehlendem Sättigungsgefühl), daher rasche Gewichtszunahme
  • Kleinwüchsigkeit (durch Mangel an Wachstumshormonen)
    kleine Hände und Füße (Akromikrie)
  • Entwicklungsverzögerung: sprachliche und motorische Entwicklung dauert länger als bei gesunden Kindern
  • reduzierte Schmerzempfindlichkeit
  • "mandelförmige" Augen, häufig Schielen und/oder Kurzsichtigkeit
  • dreieckige Mundpartie (heruntergezogene Mundwinkel)
  • Hypogonadismus (Unterfunktion der Keimdrüsen), in Folge verminderte Entwicklung und Funktion der Geschlechtsorgane
  • Hypotone Knicksenkfüße, Plattfüße
  • Skoliose
  • kognitive Beeinträchtigung wie Lernschwäche, gestörte Sprachentwicklung
  • gestörte Impulskontrolle, dadurch häufige Wutanfälle
  • Zwanghafte Verhaltensauffälligkeiten

Menschen mit PWS nehmen oft übermäßig stark an Gewicht zu. Das kann in Folge zu weiteren gesundheitlichen Problemen wie Adipositas (Fettleibigkeit) und Diabetes mellitus Typ 2 führen. 

Die Verdachtsdiagnose PWS kann bei Neugeborenen mit einer andauernden und unerklärlichen Schwäche, sogenannte "floppy infant", und Trinkschwäche gestellt werden. Eine genetische Untersuchung kann die Diagnose bestätigen oder ausschließen.

Andere Erkrankungen, die ähnliche Symptome hervorrufen, müssen ausgeschlossen werden. Dazu zählen Muskelerkrankungen wie SMA (Spinale Muskelatrophie), kongenitale Myopathien, u.a. Syndrome, die sich ebenfalls als floppy infant im Neugeborenenalter auffällig zeigen. 

Das Prader-Willi-Syndrom ist nicht heilbar. Mit einer unterstützenden Therapie können Symptome jedoch deutlich gelindert werden. Eine frühe intensive Förderung verringert außerdem Entwicklungsdefizite. Die Behandlung von PWS erfolgt durch verschiedene Fachärzt:innen, der Verlauf der Erkrankung sollte regelmäßig medizinisch überprüft werden. 

Wichtige Elemente der Behandlung:

Ernährungsberatung und ein angepasstes Ernährungskonzept: Da das Sättigungsgefühl fehlt und der Grundumsatz bei Menschen mit PWS erniedrigt ist, spielen gesunde Ernährung und eine kalorienreduzierte Kost eine wichtige Rolle. Starkes Übergewicht und Folgeerkrankungen sollen unbedingt vermieden werden.
Hormonersatztherapie: Gabe von Wachstumshormonen, um die körperliche Entwicklung zu verbessern und eine normale Körpergröße zu erreichen.
Bewegungstherapie: Motorische Fähigkeiten können mit Physiotherapie oder Ergotherapie verbessert werden. Das Ernährungsregime und der Gewichtsverlauf können durch körperliches Training unterstützt und stabilisiert werden.
Psychosoziale Unterstützung: Betroffene Kinder und deren Eltern benötigen Hilfe bei der Verhaltensentwicklung.

 

Menschen mit PWS haben grundsätzlich eine normale Lebenserwartung. Verlauf, Prognose und Lebensqualität hängen stark von der unterstützenden Therapie und der Vermeidung von Adipositas und Folgeerkrankungen ab.


Autor:innen:
Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

19. April 2024

Erstellt am:

18. April 2024

Stand der medizinischen Information:

18. April 2024


ICD-Code:
  • Q87.1

Mehr zum Thema

Derzeit aktuell

Neueste Beiträge