Ein Drittel unserer Lebenszeit verbringen wir im Bett. Schlaf hat in unserem Leben einen sehr hohen Stellenwert – Unser Organismus erholt sich währenddessen und baut seine körperliche, geistige und psychische Leistungsfähigkeit wieder auf. Trotzdem gibt es immer noch viele Unklarheiten gegenüber dem Schlaf. Wie lange sollten wir schlafen? Gibt es einen richtigen Schlaf-Zeitpunkt? Brauchen wir je älter wir werden wirklich weniger Schlaf? Schlafpsychologe Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson gibt im Interview mit MeinMed.at Antworten zu den häufigsten Schlaf-Mythen.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Ein Mythos! Der tatsächlich notwendige Schlafbedarf eines Menschen ist individuell und hängt von mehreren Faktoren wie Gene, Alter, Schlafroutine, Gesundheitszustand und der inneren Uhr ab. 90% der Erwachsenen benötigen 7-8 Stunden Nachtschlaf. 5% weniger als 7 Stunden und 5% mehr als 9 Stunden. Es ist nicht nur die Schlaflänge entscheidend, vielmehr sind es die Schlafqualität und die Schlafeffizienz geworden. Die effektive Schlafdauer, also die Schlafeffizienz ist gerade auch in Bezug auf die Schlafqualität entscheidend. Sie zeigt das Verhältnis zwischen der Dauer, in welcher man "tatsächlich" geschlafen hat und der Dauer, welche man im Bett war, um zu schlafen. Wenn also jemand 10 Stunden im Bett liegt und davon nur tatsächlich 7 Stunden schläft beträgt die Schlafeffizienz 70%. Ein guter Schläfer hat eine Effizienz von 97-98 % (2-3% Wachzeit incl. Einschlafzeit). So wird die Schlafeffizienz zum wichtigsten Gradmesser wie es um die eigene Schlafqualität steht. Übrigens – die längste Lebenserwartung haben aufgrund einer Studie mit über 1 Mio. Teilnehmern diejenigen erreicht, die ungefähr 7 Stunden pro Nacht geschlafen haben.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Richtig, aber für die meisten Menschen nicht umsetzbar. Es gilt zu berücksichtigen, dass Schlaf hochgradig unseren biologischen Rhythmus beeinflusst. Leider wissen nur die wenigsten, wie ein regelmäßiger Schlafrhythmus überhaupt auszusehen hat. Wer am Wochenende beispielsweise einen anderen Rhythmus pflegt als an Werktagen, bringt dadurch bereits Unregelmäßigkeit in seinen Biorhythmus und damit in sein ganzes Leben. Je größer die Diskrepanz zwischen Wochenenden und Werktagen sind, desto schädlicher für den Rhythmus. Viele versuchen einen einheitlichen Schlafrhythmus zu kreieren, indem sie zur selben Zeit ins Bett gehen. Das ist kein schlechter Ansatz – allerdings gibt es dabei ein Problem: ist der Rhythmus nämlich bereits gestört, schläft man oft nicht gleich ein. Sinnvoller ist es daher, damit zu beginnen, immer zur gleichen Zeit aufzustehen.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Richtig. Nach dem jetzigen Stand der Schlafforschung ist der Schlaf im ersten Nachtdrittel und insbesondere in den ersten beiden Stunden, am tiefsten und intensivsten und hat somit die erholsamste Wirkung für den Körper. Liegen diese zwei Stunden zeitlich vor Mitternacht ist der Schlaf tatsächlich am gesündesten. Wer dagegen erst um Mitternacht einschläft, erlebt den gesunden Schlaf nur später als die Lerchen, die früher das Licht löschen. Auch wer nicht vor Mitternacht zur Ruhe kommt, braucht sich um einen gesunden Schlaf keine Sorgen zu machen. Wichtig sind nämlich nicht nur die Uhrzeit, sondern die Regelmäßigkeit und vor allem die Qualität des Schlafes.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Schläft man in einem zu warmen Raum, kühlt der Körper nicht ausreichend ab. Ist es zu kalt, beugt der Körper durch Erwärmen vor. In beiden Fällen erreichen wir nicht die optimale Schlaftemperatur. Da der Kopf des Schläfers in der Regel freien Kontakt zum Schlafzimmerklima hat, ist auch ein optimales Schlafraumklima von Wichtigkeit. Bei normaler Bettausrüstung und angemessener Schlafkleidung soll die Temperatur im Schlafzimmer zwischen 16 Grad Celsius und 18 Grad Celsius betragen. In kalten Räumen werden viel heftigere Träume registriert als bei trockener Wärme. Eine gewisse Frischluftzufuhr beeinträchtigt den Schläfer positiv, jedoch sollte das Bett nicht in Fensternähe aufgestellt werden. Ein Durchlüften vor dem Schlafengehen ist eine Selbstverständlichkeit. In einem kalten Schlafraum wird die Muskelentspannung gebremst, sie ist aber für einen gesunden Schlaf unbedingt notwendig.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Mythos. Bei Schlafstörungen hilft auch ein Mittagsschlaf in der Regel nur bedingt. Insbesondere wenn man z.B. Einschlafstörungen hat, sollte man sogar darauf verzichten. Durch den Mittagsschlaf kann sich der sogenannte Schlafdruck nicht richtig aufbauen und man kann dann nur erschwert einschlafen. Besonders für Menschen mit einem Schlafdefizit kann der Mittagsschlaf sehr nützlich sein. Wer schlecht schläft, sollte sich tagsüber ausreichend bewegen und richtig auspowern. Und erst ins Bett legen wenn man wirklich müde ist. Aber Vorsicht – zu intensiver Sport am Abend regt den Kreislauf an und kann beim Einschlafen stören. Abends also lieber einen Spaziergang einlegen. Und immer wieder Schlafausstattung und Schlafumfeld überprüfen, denn das muss stimmen, um wirklich gut zu schlafen.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Mythos. Durchschlafen ist auch für gute Schläfer nicht zwingend. Das nächtliche Aufwachen ist vielmehr ein ganz normales Phänomen und nicht krankhaft. Ohnehin erleben die meisten Schlafenden viel mehr Unterbrechungen, als sie glauben: Bis zu zehn Mal pro Stunde erwachen manche für einige Sekunden, bis zu 23 Mal pro Nacht sind sie länger als eine Minute munter. Alles was unter 1-2 Minuten bleibt, wird gar nicht bemerkt und man kann sich am Morgen nicht daran erinnern. Erst wenn die Wachphase länger als fünf Minuten anhält, wird der Mensch sich dessen bewusst und ist tatsächlich wach. Dies passiert etwa ein bis viermal pro Nacht. Wer noch häufiger fünf Minuten oder länger wachliegt, empfindet seinen Schlaf als gestört. Man geht davon aus, dass diese unbewussten Wachphasen für einen genetisch verankerten Schutzmechanismus sind. Jahrtausendelang war die Schlafumgebung nicht so sicher wie heute. Es war überlebensnotwendig, das Umfeld auch nachts immer mal wieder zu überprüfen. Ob jemand diesem Ur-Mechanismus auch heute noch häufiger folgt, ist in erster Linie eine Frage der Veranlagung.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Mythos. Die weit verbreitete Ansicht, ältere Menschen benötigten weniger Schlaf als jüngere, ist falsch. Es entspricht aber den Tatsachen, dass im Alter die Fähigkeit abnimmt, durchgehend und lange zu schlafen. Schlafdefizite können ältere Menschen jedoch leichter kompensieren, da sie ihren Tagesablauf im Allgemeinen freier bestimmen und am Tage kurze Schläfchen halten können. Nach neuen Forschungsergebnissen entspricht es den natürlichen Bedürfnissen des Körpers, mindestens einen Kurzschlaf am Tag zu halten. Diesen "Luxus" kann man sich erst im Ruhestand gönnen, wenn der Zwang geregelter Arbeitszeiten entfällt.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Mythos. Am Abend sollten intensive Aktivitäten, egal ob körperlicher oder geistiger Natur, generell vermieden werden. Das gilt vor allem ab etwa 19.00 Uhr oder noch später. Dies betrifft auch anstrengenden "Kopf-Sport" wie Aktenberge mühsam abzuarbeiten, die Steuererklärung auszufüllen, kniffelige Spiele zu spielen oder tiefschürfende bzw. aufwühlende Diskussionen zu führen. Auch Videospiele, Fernsehen und Internet halten uns wach und führen zu Ein- und Durchschlafstörungen. Sie alle führen zu etwas für den Schlaf Unerwünschtem: Anhebung der Körpertemperatur und Ankurbelung der Hirnaktivität anzukurbeln, die vor dem zu Bett gehen eigentlich langsam heruntergeschraubt werden sollten. Es ist viel besser vor dem Schlafen zu lesen, zu kuscheln, Sex zu haben oder entspannende Musik zu hören.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Mythos. Es ist bekannt, dass Menschen, die unter Einschlafschwierigkeiten leiden, häufig Fernsehen als Einschlafhilfe benutzen. Eine Studie, dass dies immerhin 54% der Befragten bei Einschlafproblemen als Methode benutzen. Wer vor dem Fernseher einschläft, erzeugt einen oberflächlichen, wenig erholsamen Schlaf mit vielen Unterbrechungen. Das haben Untersuchungen und Messungen bestätigt. Zudem, wer im Wohnzimmer einschläft muss trotzdem irgendwann ins Bett. Und damit sind oft längere Einschlafzeiten vorprogrammiert.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Wissenschaftler der Oxford University in Großbritannien haben sich dem Schlaf in einer umfassenden Studie gewidmet. Sie untersuchten in Testgruppen unterschiedliche Verfahren in den Schlaf zu kommen, um später eine optimale Einschlafhilfe geben zu können. Das erstaunliche Ergebnis: Wer Schäfchen zählte oder auch an nichts Bestimmtes dachte, brauchte länger in den ersehnten Schlaf als die Studienteilnehmer, die sich eine entspannende Szene (z. B. am Strand liegend, am Bach sitzend) vorstellten. Wer auf das Schäfchenzählen verzichtete und sich stattdessen im Geiste ans Meer oder den Bach versetzte, konnte im Durchschnitt 20 Minuten schneller (!) schlafen. Das Zählen der Tiere – so die Begründung – wird eher als stressig oder nervend empfunden und sei obendrein eintönig und würde keine wohligen Gefühle herbeiführen. Wer also schneller schlafen will, sollte wohl eher nicht auf die Schäfchen setzen.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Richtig. Obwohl es wissenschaftlich aus ethischen Gründen nicht überprüfbar ist, sprechen viele Fakten dafür. Dr. Allen Rechtschaffen, Schlafwissenschaftler der University of Chicago hat zum Beispiel Tests an Ratten durchgeführt, indem er sie einem Schlafentzug aussetzte. Nach 10 Tagen fraßen die Tiere immer mehr, verloren aber zunehmend an Gewicht und die die Körpertemperatur geriet außer Kontrolle. Das Immunsystem wurde durch den Schlafentzug so geschwächt, dass Tumore und Infektionen bei den Tieren entstanden und nach 21 Tagen starben die Tiere. Immunsystem und Stoffwechsel hatten total versagt. Ein Mensch verhält sich nach 24 Stunden Schlafentzug wie ein Betrunkener, mit etwa 1,0 Promille Alkohol im Blut. Menschen reagierten auf Schlafentzug gereizt und aggressiv, nach etwa 60 Stunden mussten entsprechende Experimente abgebrochen werden. Bei der seltenen Erbkrankheit "letale familiäre Insomnie" bei der Betroffenen nicht in der Lage sind richtig zu schlafen, endet die Erkrankung, in der Regel, nach spätestens 18 Monaten tödlich.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Mythos. Obwohl viele Menschen, die in Schichtarbeit oder Bereitschaftsdienst eingespannt sind, versuchen ihr Schlafdefizit durch "Vorschlafen" gering zu halten, ist dies ein Mythos. Da man meistens tagsüber oder in den frühen Abendstunden versucht vorzuschlafen, wird die Schlafstruktur des Menschen verändert. Durch die Unterbrechungen fehlt meistens der wichtige Tiefschlaf und das mindert die vor allem die körperliche Erholung beträchtlich. Auch "auf Vorrat schlafen" bringt genau so wenig. Wer in der Nacht vor einer wilden Partynacht mehr schläft um am nächsten Abend fit zu sein, der irrt. Der Körper kann Erholung nicht speichern und wird genau so müde sein, wie ohne den Extraschlaf. Man holt zwar in der kommenden Nacht durch verlängerte Tiefschlafphasen das eine oder andere Defizit nach, aber insgesamt ist Vorschlafen nicht möglich.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Mythos. Es gibt bekanntlich die Eulen und Nachtschwärmer, die spät (zwischen 24.00-01.00 Uhr) zu Bett gehen und dann nach Möglichkeit länger schlafen oder die Lerchen, die früh schlafen gehen (zwischen 21.00 und 22.30 Uhr) und auch früh aufstehen. Dass Nachteulen fauler und allgemein weniger leistungsfähig seien als Lerchen-Typen ist ein Mythos. Der Unterschied liegt in der Leistungskurve – Eulen laufen erst zum Ende des Tages zur Höchstform auf. Lerchen haben von Morgen bis Mittag ihr Leistungshoch. In unserer Leistungsgesellschaft sind allerdings die Eulen benachteiligt, sie leben die meiste Zeit konträr zu ihrer inneren Uhr und häufen mit jedem Arbeitstag ein Schlafdefizit an. Man nennt dies einen „sozialen Jetlag“. Diesen Schlafmangel müssen die Nachteulen dann am Wochenende ausgleichen, ansonsten kann es sogar zu Krankheiten führen.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Mythos. Es ist an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass Mittagsschlaf und Powernapping nicht das gleiche sind. Powernapping ist das kurze, gezielte, zeitlich auf maximal 20 Minuten begrenzte Schlafen. Powernapping ist nicht als Schlafersatz zu sehen und es wird die Tiefschlafphase vermieden. Gerade in diesen Phasen läuft nachts unsere komplette Regeneration, vor allem des Körpers, ab. Regelmäßiges Powernapping ist ein sehr guter Stresskiller und eine der besten Präventionen für Herz- und Kreislauf, Erschöpfung und Burnout. Man schläft in der Nacht dadurch nicht kürzer, in den meisten Fällen ruhiger und tiefer.
Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson: Mythos. Im Gegenteil – zum einen ist das Schnarchen schädlich für die Gesundheit des Betroffenen und zum anderen belastet es die Partnerschaft. Ungefähr 20% der Erwachsenen schnarchen. Wobei Männer häufiger schnarchen als Frauen. Beim Schlafen entspannen sich die Muskeln im Körper, was häufig zum Herabsinken des Unterkiefers führt. Wenn das Gaumensegel beim Atmen schwingt, entstehen die störenden Schnarch-Geräusche. Es kann auch passieren, dass der hintere Teil der Zunge in den Rachen zurückfällt. Vor allem schnarchen Menschen, wenn sie auf dem Rücken schlafen. Gefährlich ist die Kombination von Schnarchen und Atemaussetzern – die sogenannte Schlafapnoe. Wer glaubt daran zu leiden, sollte in jedem Fall einen Arzt oder Schlafmediziner aufsuchen.
- Interview mit Dr. med. h.c. Günther W. Amann-Jennson am 19.06.2014